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Schlagwort: Adalbertstraße

2.8.2019

2.8.2019

Beim morgendlichen Kaffee auf dem Außengelände des Brühmarkts in der Adalbertstraße sitzt heute ein junger Mann am Nebentisch; geschlossene Augen, kerzengerade Sitzhaltung, den Rücken fest an die Lehne und den Kopf an die große Schaufensterscheibe gelehnt, vollkommen in sich versunken. Seine Hände, auf dem Schoß vor dem Körper ineinander verschränkt, formen ein Mudra. Ganz klar: Er meditiert.

Mir ist das Meditieren nun auch sehr vertraut, und ich bewundere die absolut klare Präsenz, die die Körperhaltung dieses Mannes so eindeutig zum Ausdruck bringt. Auf die Idee, ausgerechnet an dieser Ecke im brüllenden Verkehrslärm und dem Gewusel der Passanten Meditation zu praktizieren, wäre ich aber selbst in 50 Jahren nicht gekommen. Zwar unterscheidet sich mein „Sitzen“ an dieser Stelle durchaus deutlich von dem der anderen Gäste – mir kommt es schon manchmal so vor, als trüge mein sinnentleertes Schauen, das Beobachten dessen, was um mich herum vor sich geht, das stille Verharren vor dem doppelten Espresso, verbunden mit dem sensorischen Genuss, den das dunkle Gebräu einschließlich der wunderbaren Crema vermittelt, Züge von kontemplativer Versenkung. Aber die Augen habe ich bislang noch nicht geschlossen; wer weiß, was dann geschähe… und erst recht kann ich mir nicht vorstellen, dort barfuß zu sitzen wie mein Nachbar, der sich seiner Schuhe und Socken entledigt hatte und dessen bloße Füße auf dem Pflaster ruhten. Er schien vollständig entrückt… bis mit einem Mal, ganz plötzlich, ein breites Lächeln über sein Gesicht huschte, er im gleichen Moment die Augen öffnete (oder war das einen Moment zuvor?) und freudestrahlend einen anderen jungen Mann begrüßte, der sich, bepackt mit zwei prall gefüllten Satteltaschen, seinem Tisch näherte. Also sowas… entweder war er hellsichtig oder mit der Meditation war es doch nicht so weit her! Oder befand er sich etwa in einer Sphäre, in der das Unsagbare gesagt und das Unsichtbare gesehen werden kann?

8.2.2019

8.2.2019

Der Wandel schreitet voran, auch auf der Adalbertstraße. Da blieb lange alles eher unverändert, bis nach und nach einige Kioske für dies und das in Ladengeschäften eröffneten (ja, einer hat Hunderte von Biersorten im Angebot; da kann man die Flaschen im Schaufenster besichtigen!), der Grieche neben dem Hama Sushi dann doch zum Türken mutierte und nun Döner bietet und seit neuestem auch noch ein Laden Waren offeriert, deren Verpackung man selbst mitbringen muss. Plastik liegt schon zuviel in den Weltmeeren, da ist es gut, wenn man wenigstens mal anfängt, weniger davon zu verbrauchen.

Unverändert halten aber Carl Topp mit seinem Bürstenladen und eine von außen heruntergekommen aussehende Drogerie ein paar Häuser weiter der Straße und der Kundschaft die Treue. Was selbst ich nicht wußte: Der Bürstenverkäufer ist nicht mehr der offenkundig selige Herr Topp; als Inhaber fungiert jemand anders. Man sieht ihn immer mittags mit seinem Hundchen die Straße lang spazieren. Doch die Ware dürfte selbst der alte Herr wohl teilweise noch gekannt haben. Das Sortiment ist so traditionsgeladen wie die Regale und Schubladen, in denen es auf die Käufer wartet, genauer gesagt darauf, dass der Mann hinter der Theke hineingreift und es herausholt. Wo sonst gibt’s denn sowas noch?? Ein Wunder, für das nur allerherzlichst gedankt werden kann. Klar, dass ich die neue Spülbürste oder den Bartkamm nur dort erstehe. Oder eben einen neuen Besenstiel. Was ich von Drogerieartikeln freilich nicht sagen kann – die bietet die Straße entgegen aller Vermutung ob des Ladenschilds nicht. Die genannte Drogerie erinnert schon von außen an ein Relikt aus den Fünfzigern; alles verstaubt, Vorhänge hinter der Auslage, und vor allem: Dunkelheit und Mysterium. Ein früherer Bekannter erzählte mir mal, der Betreiber kenne sich in schwarzer Magie aus. Das klang sehr plausibel und ist es auch heute noch. Dabei knarrt die Tür noch nicht einmal – ich habe noch niemals jemanden dort hineingehen sehen. Und erst recht nicht herauskommen…

9.1.2019

9.1.2019

Kaffeehaus-Atmosphäre – ein „Kleiner Brauner“, eine Melange oder gar ein „Einspänner“ – wem der Sinn nicht nur nach Kaffeegenuss, sondern auch der dazu einfach notwendig gehörenden Stimmung steht, der denkt unweigerlich an Wien. Das Wiener Kaffeehaus und seine nörgelnden Ober sind Institutionen, derentwegen Millionen von Touristen die Stadt besucht haben und auch weiterhin besuchen werden, mag auch dort das Kaffeehaus alter Tradition längst nicht mehr in so großer Zahl wie früher anzutreffen sein.

Mit Frankfurt verbindet man das nicht, ungeachtet der geradezu atemberaubend gewachsenen Zahl neuartiger Coffeeshops oder Espresso-Bars. Allein die Adalbertstraße in Bockenheim bietet auf ihren knapp 500 m Länge deren 4, das „Crumble“ und das „Albatros“ um die Ecke nicht mitgezählt; dazu zwei Bäckereien mit Kaffee-Anschluss und einige Pizzerien, die natürlich auch Espresso im Angebot haben. Die Kaffee-Auswahl lässt keine Wünsche mehr offen – aber Atmosphäre? Zum Entspannen wie im Wiener Kaffeehaus sind alle diese Etablissements der falsche Ort, auch das Crumble, das mittlerweile scharenweise die jungen Mütter mit ihren schreienden Säuglingen angelockt hat, die früher im Albatros dem Stillen nachgingen. Überall nüchtern-sachliche Einrichtung, spröde Geschäftigkeit (teils mit Selbstbedienung), erheblicher Lärmpegel und weitgehend ein Publikum, neben dem zu sitzen jedenfalls mir keinen Spaß macht. Etwa jeder zweite sitzt vor einem aufgeklappten Laptop und schlürft kaltgewordene Latte. Und mehr als 2 Euro für einen Espresso zu zahlen – das ließe sich kein Italiener im Heimatland bieten…