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Was Hänschen nicht lernt…

Was Hänschen nicht lernt…

Wer spekulieren will, wie sich eine Gesellschaft voraussichtlich entwickeln könnte, mag sich anschauen, wie Kindergruppen durchs Leben geschickt werden; etwas präziser in diesem Fall: durch den Alltag in einer Stadt. Heute konnte ich eine (vermutlich) KiTa-Gruppe beobachten, die von einer Vielzahl von Betreuerinnen und Betreuern durch das Frankfurter Nordwestzentrum geschleust wurde. Alle, wirklich alle Kinder hatten Dosen mit Essvorräten dabei, die sie allerdings nicht nur mitführten – nein, wirklich jedes Kind mümmelte während des Gehens durch die Passagen – mitten am Vormittag – fleißig kauend an Essbarem, natürlich nicht schweigend. Wohlgemerkt: alle, und im Gehen. Muss man sich da noch wundern, wenn allüberall im öffentlichen Raum nicht nur von Kindern geschmatzt wird und zuweilen die leeren Futter- oder auch Trinkbehältnisse – wenn nicht wiederverwendbar – auf dem Trottoir oder in der Grünanlage landen? Wie anders sieht es dagegen etwa in Japan aus! Dort erlebte ich im vergangenen Jahr, wie ruhig und diszipliniert eine Gruppe mit vergleichsweise ähnlich alten Kindern und gerade mal zwei Betreuerinnen in aller Ruhe einen Bahnhof durchquerte, ohne auch nur einen Finger in die mitgebrachten Dosen zu stecken, in denen sich aller Wahrscheinlichkeit ebenfalls der Proviant befand, der dann später – zur Essenszeit – verzehrt wurde. Natürlich nicht auf der Straße.

Nichts gegen die Kinder, die darüber vermutlich nicht nachdenken – aber die Betreuerinnen und Betreuer dürften sich schon mal überlegen, wie sie da beaufsichtigen. Schlimmer erlebte ich es freilich eines Tages im Sommer, als eine wilde Gruppe die Straßenbahnhaltestelle an der Bockenheimer Warte heimsuchte und von den (wiederum zahlreichen) Betreuern auch noch in die deutlich verspätete und darum hoffnungslos überfüllte Bahn gescheucht wurde, nur um nach einigen Minuten das Kommando „Alles wieder raus!“ befolgen zu müssen, da sich herausstellte, dass nicht alle Mitglieder der Gruppe gemeinsam hätten mitfahren können… Hätten die Betreuer mal vorher die RMV-App zu Rate gezogen, wären sie womöglich gleich auf die Idee gekommen, auf die für nur eine Minute später angekündigte (und pünktliche) nächste Bahn zu warten, die dementsprechend leer war. Doch das ist ja noch nichts gegen eine andere, ebenfalls im Sommer erlebte Begebenheit: Unterwegs Richtung Ginnheim Mitte wollte doch tatsächlich eine Kinder-Feriengruppe an der gerade im Umbau befindlichen Station Niddapark aussteigen, und als die Bahn dort nicht hielt, schimpfte die oberste Betreuerin laut in der Bahn, dass das ja schon von den verantwortlichen Stellen mal hätte kommuniziert werden können. Hatte man aber – die Station war bis zu diesem Zeitpunkt bereits für drei Monate außer Betrieb und das war nicht nur in der Presse und über öffentliche Verlautbarungen der VGF, sondern auch über Aushänge an jeder Haltestelle zu lesen gewesen. Wie verpeilt muss man sein, um das ignorieren zu können? Doch wenn schon die Betreuer nicht begreifen, wie man praktisch und zielgerichtet durch den Alltag kommt – wie sollen es die Kinder dann lernen?

Ohne Recht ist alles nix

Ohne Recht ist alles nix

Den Mut, der den Frankfurter Damen fehlte, brachte in Ludwigshafen ein Gremium auf, dessen Aufgabe ebenfalls höchst politischen Charakters ist, der dabei aber in gleicher Weise wie andere politische Funktionsträger das Recht nicht nur zu beachten hat, sondern aktiv durchsetzen muss. Der zur Durchführung der dortigen Oberbürgermeisterwahl gebildete Wahlprüfungsausschuss befindet unter anderem über die Zulassung der Personen zur Wahl, die dieses Amt anstreben, und im Rahmen dieser Aufgabe verweigerte er dem Kandidaten der AFD die Möglichkeit, an der Wahl teilzunehmen. Eine mutige, aber vor allem ausschließlich am Recht orientierte Entscheidung, fordern doch die gesetzlichen Vorschriften in Rheinland-Pfalz ausdrücklich, von den Kandidaten müsse ein jederzeitiges aktives Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung erwartet werden können. Dies sah der Ausschuss in der Person des von der AFD gekürten Kandidaten aus umfangreichen und wohlabgewogene Gründen nicht als gewährleistet an; eine Entscheidung, die mittlerweile in zwei Gerichtsinstanzen nicht als beanstandenswert erschien.

Prompt meldet sich freilich ein durchaus prominenter ehemaliger Politiker der Grünen (nunmehr immerhin noch als Dozent an der hessischen Polizeihochschule für die Heranbildung des Polizeinachwuchses verantwortlich) und kritisiert in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung die Entscheidung des Ausschusses als politisch verfehlt – man müsse die AFD politisch bekämpfen. Mit Verlaub: Dieser Mann hat nicht verstanden, dass rechtliche Normen nach rechtlichen und eben nicht politischen Grundsätzen ausgelegt und angewendet werden müssen. Die Beurteilung, ob jemand die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche Demokratie einzutreten, ist, da die Voraussetzung gesetzlich normiert ist, eine rein rechtliche; sie darf zwar tatsächliche Umstände aus dem politischen Alltag zur Grundlage nehmen, muss im Übrigen aber in der Anwendung ausschließlich rechtlicher Maßstäbe bestehen. Und wer nach diesen Maßstäben aus der möglichen Kandidatur rausfliegt, darf auch nie und nimmer Oberbürgermeister werden können, egal, ob man den Rauswurf für politisch verfehlt halten kann oder nicht. Diese Frage stellt sich einfach nicht, genauso wenig wie der Frankfurter Baudezernentin in ihrer amtlichen Funktion ein (politischer) Ermessensspielraum zusteht, für Hausbesetzungen Verständnis zu haben. Demokratie kann nur bestehen, wenn das Rechtsstaatsprinzip seine volle Kraft entfaltet – was geschieht, wenn Recht nicht durchgesetzt wird, sehen wir derzeit in aller Härte jenseits des Atlantiks.

Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

Was die im letzten Beitrag erwähnten Damen angerichtet haben, kann nun ausgiebig der mittlerweile umfangreichen Presseberichterstattung entnommen werden. Zum einen soll zwar die Stadt den Veranstaltern des „Camps“ im Grüneburgpark zuvor angeboten haben, ihren Diskurs anderenorts stattfinden zu lassen; unter anderem sei das Rebstock-Gelände in Betracht gekommen, wo immerhin jährlich etwa das afrikanische Kulturfestival ausgerichtet wird und vor Jahren bereits andere namhafte politische Kundgebungen wie zum Beispiel „Rock gegen Rechts“ stattfanden. Während also für andere Ausrichter dieser Platz offenkundig für ihre Zwecke geeignet erschien, war die Anspruchshaltung der System-Changer eine etwas größere und sie beharrten darauf, die Zelte im Grüneburgpark zu errichten – und die Stadt nahm es hin. Dass man sich fragen kann, ob die Willfährigkeit wohl die gleiche gewesen wäre, hätte die AFD-Jugend ein Camp aufbauen wollen, mag dahinstehen – ganz unabhängig davon liegt die originäre Verantwortung für die Zulassung einer Nutzung öffentlichen Raums immer noch bei den städtischen Behörden und eben nicht bei den Veranstaltern. Und wenn die Ordnungsdezernentin gebetsmühlenartig darauf hinweist, ihr seien die Hände gebunden gewesen, offenbart dies nur erneut das Fehlen von Mut, auch mal standhaft zu bleiben und die Sache notfalls vor Gericht auszutragen.

Einen noch viel größeren Schlamassel rief indes die kompetente Baudezernentin mit ihrer langjährigen Duldung rechtswidriger Hausbesetzungen hervor, für die sie ausdrücklich immer wieder „Verständnis“ äußerte. Natürlich war schon vorher klar, dass die freundliche Anfrage der Stadt an die Besetzer, ob sie nicht doch das Gebäude wieder freimachen möchten – zu der Frau Weber sich erst durch den Oberbürgermeister höchstselbst drängen lassen musste -, erfolglos bleiben würde. Nun stehen tatsächlich Polizeiaktionen mit dem entsprechenden Krawall im Raum, zu denen es nicht hätte kommen müssen, wenn das zuständige Dezernat der Stadt die Liegenschaft – ebenso wie vergleichbare andere – nicht jahrelang hätte leerstehen lassen und Frau Dezernentin nicht durch ihre wohlwollende, in der Presse mehrfach bekundete Haltung geradezu dazu ermuntert hätte, sich des Gebäudes zu bemächtigen. Natürlich nicht für Wohnzwecke, sondern erneut zum „Diskurs“. Ach ja, Hausbesetzungen hatten schon einmal andere Ziele…

Drei Damen vom Grill…

Drei Damen vom Grill…

Wohin es führen kann, wenn – wie in Deutschland üblich – politische Leitungsfunktionen nicht mit Fachleuten, sondern mit von den Parteien benannten Feierabendpolitiker(inne)n besetzt werden, kann man derzeit besonders krass in Frankfurt sehen. Da gibt es eine Ordnungsdezernentin (die eben die Verantwortung dafür trägt, dass in der Stadt alles nach Recht und Gesetz zugeht) und eine Umweltdezernentin (die unter anderem für den wirksamen Schutz städtischen Grüns verantwortlich ist), die sich außerstande sehen, den Grüneburgpark – immerhin eine der größten und wichtigsten städtischen Grünanlagen – vor einem zwei Wochen dauernden Belagerungszustand durch eine Ansammlung von Zelten und sanitären Zusatzeinrichtungen sowie Grenzzäunen zum Schutz spielender Kinder zu bewahren, die den Bürgern der Stadt die entsprechende Nutzung dieses Parks nicht nur unmöglich, sondern schlicht unerträglich machen. Abgesehen davon wird in dem „Diskursraum“ innerhalb des „Grenzzauns“ fleißig dem Antisemitismus gefrönt. Man habe aber, so die beiden Damen, rechtlich keine Möglichkeit gesehen, die „Versammlung“ zu unterbinden, an einen anderen Ort zu verlegen oder auch nur unter Auflagen zu genehmigen. Allerdings weiß schon jeder Jura-Student, der im dritten Semester seinen „kleinen Schein“ machen möchte, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eben nur das bloße Sich-Versammeln unter Schutz stellt. Die Installation von Zelten und eine dementsprechende Inanspruchnahme städtischer Grünflächen oder die Notwendigkeit einer räumlichen Abgrenzung von Spielplätzen durch Metallzäune kann hingegen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine schützenswerte Ausübung der Versammlungsfreiheit darstellen; es handelt sich vielmehr – findet dies im öffentlichen Raum statt – um eine sogenannte Sondernutzung, die in jedem Fall sogar der vorherigen Genehmigung durch die zuständigen Behörden bedarf. Und das sollte den politisch verantwortlichen Dezernentinnen – eine von ihnen zudem dem Vernehmen nach ausgebildete Juristin – nicht bekannt sein?! Eine abenteuerliche Vorstellung, sodass man sich schon fragen darf, ob hier nicht politische Entscheidungen im Raum stehen, mit denen man wissentlich das Recht ignoriert.

Letzteres gilt ohne jeden Zweifel hingegen für die dritte Feierabendpolitikerin als Dezernentin, deren sich der Frankfurter Magistrat rühmen kann. Die Baudezernentin, zu deren Zuständigkeitsbereich bislang auch die Verwaltung städtischer Liegenschaften gehörte, hat in der Vergangenheit nicht nur immer wieder (politisch) Verständnis gezeigt, wenn mal wieder ein der Stadt gehörendes leerstehendes Gebäude „besetzt“ wurde – eine eindeutig rechtswidrige Handlung -, sondern auch (rechtlich) auf jegliche Sanktion, insbesondere die rechtlich gebotene unmittelbare Räumung des Gebäudes verzichtet. Allein ein schlechtes Gewissen, dass die Stadt offensichtlich nicht in der Lage ist, ihr aus gutem Grund von den baurechtlichen Bestimmungen eingeräumte Vorkaufsrechte nicht nur auszuüben, sondern den Zweck dieser Vorkaufsrechte dann auch tatsächlich zu verwirklichen: angemessenen Wohnraum sicherzustellen, um Spekulationen entgegenzuwirken, kann dies ja wohl nicht rechtfertigen. Anstatt auf die Idee zu kommen, die städtischen Stellen nachhaltig (ggf. durch eine Neuorganisation) in die Lage zu versetzen, sachgerecht mit den erworbenen Liegenschaften umzugehen statt sie leerstehen und verrotten zu lassen, werden Rechtsbrechern Tür und Tor geöffnet – schlimmer kann Politik nicht versagen. Das hat nun endlich auch der Oberbürgermeister eingesehen und seiner Parteifreundin die Zuständigkeit für die Verwaltung der städtischen Liegenschaften entzogen; ein zaghafter erster Schritt, bei dem es allerdings nicht bleiben kann. In die Armut müssten die genannten drei Dezernentinnen selbst dann nicht geraten, wenn sie – was rechtlich jedenfalls nicht unzulässig wäre – allesamt postwendend in den Ruhestand versetzt werden würden – wer erinnert sich nicht an Brigitte Mira mit ihren beiden Kolleginnen aus der beliebten Vorabendserie seliger Zeiten, die mit großem Erfolg eine Imbissbude betrieben? Dabei ließe sich auch ohne jede nachteilige Folge für die Stadtbevölkerung dem Verständnis für jedweden Rechtsbruch huldigen…

Perfect Policies?

Perfect Policies?

So einfach wie mit dem perfekten Start in den Tag ist es in der Politik natürlich nicht. Es verwundert allerdings doch, dass hierzulande immer noch nicht einmal im Ansatz verstanden wurde, was gute Politik ausmacht – abgesehen vom Inhalt. Der wird immer umstritten sein, je nach politischer Richtung; aber ein Merkmal politischen Handelns in Deutschland scheint nicht überwindbar zu sein: Wer versteht die politischen Entscheidungen, oder – anders herum – wer erklärt sie dem Publikum, für das sie getroffen werden?

Der frühere Bundeskanzler wählte zwischen absolutem Schweigen oder tiefgründig nichtssagenden, unverständlichen Bemühungen, etwas zu erklären, was keiner verstehen konnte. Klartext? Fehlanzeige; und auch die Existenz eines Regierungssprechers half nicht weiter. Das hat sich durch den Wechsel des politischen Personals bislang noch in keiner Weise geändert. Warum jetzt zum Beispiel die „Mütterrente“ angehoben werden soll, während man die Senkung der Stromsteuer nur einer Teilgruppe der ursprünglich vorgesehenen Begünstigten zugute kommen lassen will – das versickert im Sumpf des politischen Kommunikationsalltags. Es werden nur Ergebnisse kommuniziert, aber man übermittelt noch nicht einmal Informationen über die Gesichtspunkte, die den Entscheidung und den ihr vorausgegangenen Abwägungen zugrunde lagen, geschweige denn über die Kriterien, die dem geneigten Publikum eine eigene Einschätzung ermöglichen, das gut oder schlecht zu finden. Das gilt in gleicher Weise für alle Ebenen – länder- und kommunenübergreifend. Ein Beispiel aus Frankfurt: Man beerdigt zwar nicht heimlich, aber still und leise den ehemals aufwendig propagierten Kulturcampus in Bockenheim, wobei von den Verantwortlichen als politischer Höhepunkt des Kurswechsels die Erhaltung des Juridicums in den Vordergrund gerückt wird. Man weiß nur nicht, was daran so erhaltenswert sein und warum überhaupt das Projekt scheitern soll – man merkt nur, dass die heute auf kommunaler Ebene politisch Verantwortlichen es einfach nicht wollen und der Landesregierung das offenkundig herzlich gleichgültig ist – nur, dass man das nicht sagt. So wird man der Politikverdrossenheit nicht Herr; die AFD wird sich freuen.

Perfect Days

Perfect Days

Die Menschen beginnen ihre Tage unterschiedlich, die allermeisten – soweit im Berufsleben stehend – jedoch immer mit dem Blick zur Uhr und auch im Übrigen mit allerlei Aktivismus. Damit ist nicht das Zähneputzen gemeint, die Zubereitung des Frühstücks oder das Bemühen darum, dass die Kinder rechtzeitig in die Schule kommen. Abgesehen von diesen unvermeidlichen Ablenkungen geben sich die meisten eher weniger notwendigen Zerstreuungen hin, indem sie ihre Aufmerksamkeit der Zeitung widmen oder sich von den diversen Magazinen in Radio oder im Fernsehen berieseln lassen. Man will ja informiert sein, wie die Weltlage ist. Wirklich?!

Wer wissen will, wie ein gelingender Tag beginnt, braucht sich nur ein Beispiel an dem Protagonisten des Films von Wim Wenders zu nehmen: Ein Blick in den morgendlichen Himmel, ein tiefer Atemzug, und das jeden Tag, vor allem anderen. Mehr ist nicht vonnöten, um bei sich anzukommen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: den Augenblick, in dem man wahrnimmt, was gerade ist.

Dein Hirn, das unbekannte Wesen

Dein Hirn, das unbekannte Wesen

Fußballfans werfen Papierkugeln und eine Fahnenstange auf Spieler und Linienrichter; Fotografien der dem gerade gekürten, den Versammelten jedoch völlig unbekannten Papst zujubelnden Menschenmenge zeigen hemmungslos weinende Frauen, und im Bundestag ergötzen sich die Abgeordneten der AfD mit ihren sorgsam einstudierten permanenten Pöbeleien am Krawallmachen – in all diesen Szenen offenbart sich, dass es mit der Evolution des menschlichen Geistes nicht so weit her ist. Jahrmillionen nach dem Aussterben der Dinosaurier hat es das menschliche Hirn offenkundig nicht weit gebracht. Oder sollte man besser sagen: Immer noch haben die Menschheit und ihr Zentralorgan des Nervensystems nicht begriffen, dass wir nicht mehr hoffnungslos dem Mechanismus von Flucht oder Kampf folgen müssen, wenn wir überleben wollen, sondern dass wir mit einem Großhirn ausgestattet sind, dessen Potenzial unermesslich ist!

Die Menschheit nutzt es nur nicht. Das limbische System, in dem all die beispielhaft genannten Verhaltensweisen wurzeln, hat nach wie vor die Oberhand und bestimmt sowohl die individuellen wie auch die kollektiven psychischen Faktoren, die dann in unser Handeln münden. Krawallmachen kann nur dann als sinnvolles politisches Handeln angesehen werden, wenn es bei den Zuschauenden potenziell auf Sympathie stößt; wenn es solche gibt, die das gutheißen, und sei es nur deshalb, weil die Krawallmacher sich etwas trauen, was die Gutheißenden sich verkneifen, und es den „anderen“ mal so richtig zeigen. Genauso die Ultras im Stadion, die zur Selbstbestätigung die Sau rauslassen und dafür eben ein Stadion als Arena missbrauchen. Und sind die Tränen aus schmerzverzerrtem Gesicht vor dem Papst nicht doch eher Symbol für eine heftige Projektion denn Ausdruck des Glaubens? In all diesen Situationen steht das Großhirn, letztlich die Vernunft im Abseits. Wer Ausschau halten möchte nach den Gründen, aus denen so vieles in dieser Welt schief läuft, wird hier fündig. „Oh Herr, schick Hirn vom Himmel!“, hieß es früher. Anders wird ein Schuh draus: „Oh Mensch, du hast ein Großhirn – nutze es!“

Wie immer…

Wie immer…

Nach der Einigung der künftigen Koalitionäre in Sachfragen, die an vielen Stellen freilich mehr zu einem Offenhalten von Themen statt zu konkreten Sachaussagen führte, und der letztendlichen Billigung der Koalitionsvereinbarung in der Mitgliederbefragung der SPD präsentieren die Parteien nun ihr Personaltableau. Was wir schon ahnten: Es bleibt doch eher alles, wie es schon immer war…

Gemeinsamer Nenner aller bisher bekannt gewordenen Personalvorschläge: Es geht wieder mal weniger um die Sache als vielmehr um die Parteiarithmetik. Ja, sogenannte Volksparteien bündeln viele unterschiedliche Meinungsströmungen, und sie alle wollen befriedigt werden, damit es nicht zum Knatsch kommt. Nur so ist es zu erklären, dass sich niemals wirklich profunde Kenner und Kennerinnen der jeweiligen Materie auf den entsprechenden Minister-Posten einfinden. Oder mag jemand behaupten, dass etwa ein Herr Dobrindt die fachlichen Anforderungen an einen Innenminister aufs Beste erfüllt (ach nein, der Grundsatz der Bestenauslese gilt ja nur für das Berufsbeamtentum)?! Das galt freilich schon für frühere Besetzungen dieses Postens, und nach meiner Erinnerung war Gerhart Baum von der FDP der letzte in dieser Reihe, dem man die Eignung fürs Amt nun wirklich nicht absprechen konnte. Ein seltener Glücksfall. Ein solcher hätte auch dem neuen Kabinett winken können, doch zog die SPD es – wie schon gesagt: offenkundig allein aus Gründen der Parteiarithmetik – nun vor, ihren Parteivorsitzenden höchstselbst in das Finanzministerium zu katapultieren, wo infolgedessen der (seit langer, langer Zeit endlich mal wieder) fachlich kompetente Interimsminister Kukies den Posten räumen muss. Mal sehen, welches Gnadenbrot ihm zugedacht werden wird. Ach ja – und was qualifiziert Herrn Klingbeil für dieses Amt außer dem Umstand, dass dem Parteivorsitzenden ein gewichtiges Ministerium zugedacht werden musste, wenn schon die wirklich wichtigen Ministerien allesamt dem Unionslager zugeschlagen wurden? Wer, bitte schön, hat da Federn lassen müssen?

Zeit wird’s…

Zeit wird’s…

Noch einen Tag, dann sind wir schlauer. Und können absehen, ob es tatsächlich zu der geplanten Koalition im Bundestag kommen wird. Morgen wollen die Verantwortlichen der SPD endlich bekanntgeben, was die Mitglieder ihrer Partei von den umfangreichen Abmachungen halten, mit denen die neue Wahlperiode zusammen mit den Unionsparteien bestritten werden soll.

Ob sich irgendeiner der Strategen aus dem SPD-Vorstand überhaupt Gedanken hingegeben hat, was passieren soll, wenn das – als bindend deklarierte – Mitgliedervotum „Nein!“ lautet? Dann hätte eine verschwindende Minderheit der wahlberechtigten Bevölkerung entschieden, dass erst einmal wieder Ungewissheit herrscht über das weitere Schicksal dieser Republik. Sicher, man könnte neue Formen der Regierung ausprobieren, die in anderen Ländern – etwa Schweden – seit langem zum politischen Alltag gehören. Ob die Bundesrepublik mit ihrer festgefahrenen Tradition der krassen parteipolitischen Konfrontationen reif wäre für solche anspruchsvollen, auf Sachorientierung und Kompromissfähigkeit angelegten Formen politischen Handelns, müsste sich erst noch erweisen. Neuwahlen jedenfalls brächten in keinem Fall das, was sich womöglich manche der SPD-Kleingeister mit ihrem Nein erhoffen. Aber auch unabhängig davon – ob die politische Übereinkunft als gut oder schlecht anzusehen ist, kann doch nicht ernsthaft von dem Inhalt der Koalitionsvereinbarungen in nur einem Politikfeld abhängig gemacht werden! So ticken aber nach allen Verlautbarungen ihrer jeweiligen Protagonisten viele Gruppierungen in der 16 %-Partei, die augenscheinlich noch nicht zur Kenntnis genommen haben, dass politisches Handeln unter den gegebenen Umständen nicht daran gemessen werden darf, ob sich die reine Lehre in jedem Punkt der Vereinbarungen wiederfindet. Und vor allem verkennen sie den nicht ganz unwesentlichen Umstand, dass man weit entfernt davon ist, die Mehrheit der Wahlbevölkerung zu repräsentieren. Den einen geht es dabei vorrangig um ein Deutschland als offenes Ziel aller Flüchtenden; die anderen verwechseln Sozialpolitik mit der Präsentation möglichst vieler materieller Geschenke und wiederum andere sehen den Inbegriff sozialdemokratischer Politik in wirtschaftspolitischem Dirigismus, und all dies ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept, wie es mit dieser Gesellschaft weitergehen soll. Da war man in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon mal weiter mit dem Programm eines demokratischen Sozialismus, auch wenn dieses Programm trotz mehrfacher Regierungsbeteiligung der SPD immer noch seiner Verwirklichung harrt, und sei es auch nur in Ansätzen. Es ist nicht ganz unerklärlich, dass es bei der Bundestagswahl nicht mehr als 16 % wurden… wann wird das endlich begriffen?

Das Maß der Dinge

Das Maß der Dinge

Einen Vorgeschmack darauf, wie die innerparteiliche Debatte über die Koalitionsvereinbarung in der SPD geführt werden und mit welcher Qualität von Argumenten zu rechnen sein wird, vermittelte schon die heutige Zeitungslektüre. Über die Erörterungen in der parteiinternen Arbeitsgruppe Migration und Vielfalt und ihre öffentliche Stellungnahme wird berichtet, sie empfehle den Mitgliedern der Partei die Ablehnung der Vereinbarung. Zwar sei Schlimmstes verhindert worden; dennoch sei keine klare Linie in der Migrationspolitik zu erkennen, in der die SPD sich wiederfinden könne.

Es mag natürlich der genannten Arbeitsgruppe unbenommen bleiben, ihre Ansicht zum Ergebnis der Koalitionsverhandlungen kundzutun. Dass aber eine nicht optimale Umsetzung migrationspolitischer Wunschvorstellungen – wohlgemerkt: nur dieses erlauchten Kreises – gleich zu der Empfehlung führen muss, die Koalitionsvereinbarung in Bausch und Bogen abzulehnen, ist nicht unbedingt einzusehen. Auch hier zeigt sich, dass den politischen Debattanten der Blick für das Maß der Dinge verloren gegangen ist. Eigene (Klientel-)Vorstellungen werden derart verabsolutiert, dass allein der Grad ihrer Berücksichtigung über Wohl und Wehe des Gesamtpakets entscheiden soll, egal, was sonst noch in der Vereinbarung drinsteht. Eine Gesamtabwägung, die man ja wohl auch von einer fachlich begrenzt orientierten Arbeitsgruppe noch erwarten darf, vermisst man in der Stellungnahme ebenso wie die Berücksichtigung des Umstands, dass die Ziele der eigenen Partei deutlich über den Bereich der Migrationspolitik hinausgehen. Wer aus rein klientelbezogenen Erwägungen die Lunte an die Koalitionsvereinbarung legt, darf sich dann aber auch nicht wundern, wenn nach künftigen Wahlen auch die Genossen zur Gemeinschaft der schon aktuell wegen der Fünf-Prozent-Hürde Gestrauchelten hinzustoßen sollten.