Browsed by
Monat: April 2025

Zeit wird’s…

Zeit wird’s…

Noch einen Tag, dann sind wir schlauer. Und können absehen, ob es tatsächlich zu der geplanten Koalition im Bundestag kommen wird. Morgen wollen die Verantwortlichen der SPD endlich bekanntgeben, was die Mitglieder ihrer Partei von den umfangreichen Abmachungen halten, mit denen die neue Wahlperiode zusammen mit den Unionsparteien bestritten werden soll.

Ob sich irgendeiner der Strategen aus dem SPD-Vorstand überhaupt Gedanken hingegeben hat, was passieren soll, wenn das – als bindend deklarierte – Mitgliedervotum „Nein!“ lautet? Dann hätte eine verschwindende Minderheit der wahlberechtigten Bevölkerung entschieden, dass erst einmal wieder Ungewissheit herrscht über das weitere Schicksal dieser Republik. Sicher, man könnte neue Formen der Regierung ausprobieren, die in anderen Ländern – etwa Schweden – seit langem zum politischen Alltag gehören. Ob die Bundesrepublik mit ihrer festgefahrenen Tradition der krassen parteipolitischen Konfrontationen reif wäre für solche anspruchsvollen, auf Sachorientierung und Kompromissfähigkeit angelegten Formen politischen Handelns, müsste sich erst noch erweisen. Neuwahlen jedenfalls brächten in keinem Fall das, was sich womöglich manche der SPD-Kleingeister mit ihrem Nein erhoffen. Aber auch unabhängig davon – ob die politische Übereinkunft als gut oder schlecht anzusehen ist, kann doch nicht ernsthaft von dem Inhalt der Koalitionsvereinbarungen in nur einem Politikfeld abhängig gemacht werden! So ticken aber nach allen Verlautbarungen ihrer jeweiligen Protagonisten viele Gruppierungen in der 16 %-Partei, die augenscheinlich noch nicht zur Kenntnis genommen haben, dass politisches Handeln unter den gegebenen Umständen nicht daran gemessen werden darf, ob sich die reine Lehre in jedem Punkt der Vereinbarungen wiederfindet. Und vor allem verkennen sie den nicht ganz unwesentlichen Umstand, dass man weit entfernt davon ist, die Mehrheit der Wahlbevölkerung zu repräsentieren. Den einen geht es dabei vorrangig um ein Deutschland als offenes Ziel aller Flüchtenden; die anderen verwechseln Sozialpolitik mit der Präsentation möglichst vieler materieller Geschenke und wiederum andere sehen den Inbegriff sozialdemokratischer Politik in wirtschaftspolitischem Dirigismus, und all dies ohne Einbettung in ein Gesamtkonzept, wie es mit dieser Gesellschaft weitergehen soll. Da war man in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon mal weiter mit dem Programm eines demokratischen Sozialismus, auch wenn dieses Programm trotz mehrfacher Regierungsbeteiligung der SPD immer noch seiner Verwirklichung harrt, und sei es auch nur in Ansätzen. Es ist nicht ganz unerklärlich, dass es bei der Bundestagswahl nicht mehr als 16 % wurden… wann wird das endlich begriffen?

Das Maß der Dinge

Das Maß der Dinge

Einen Vorgeschmack darauf, wie die innerparteiliche Debatte über die Koalitionsvereinbarung in der SPD geführt werden und mit welcher Qualität von Argumenten zu rechnen sein wird, vermittelte schon die heutige Zeitungslektüre. Über die Erörterungen in der parteiinternen Arbeitsgruppe Migration und Vielfalt und ihre öffentliche Stellungnahme wird berichtet, sie empfehle den Mitgliedern der Partei die Ablehnung der Vereinbarung. Zwar sei Schlimmstes verhindert worden; dennoch sei keine klare Linie in der Migrationspolitik zu erkennen, in der die SPD sich wiederfinden könne.

Es mag natürlich der genannten Arbeitsgruppe unbenommen bleiben, ihre Ansicht zum Ergebnis der Koalitionsverhandlungen kundzutun. Dass aber eine nicht optimale Umsetzung migrationspolitischer Wunschvorstellungen – wohlgemerkt: nur dieses erlauchten Kreises – gleich zu der Empfehlung führen muss, die Koalitionsvereinbarung in Bausch und Bogen abzulehnen, ist nicht unbedingt einzusehen. Auch hier zeigt sich, dass den politischen Debattanten der Blick für das Maß der Dinge verloren gegangen ist. Eigene (Klientel-)Vorstellungen werden derart verabsolutiert, dass allein der Grad ihrer Berücksichtigung über Wohl und Wehe des Gesamtpakets entscheiden soll, egal, was sonst noch in der Vereinbarung drinsteht. Eine Gesamtabwägung, die man ja wohl auch von einer fachlich begrenzt orientierten Arbeitsgruppe noch erwarten darf, vermisst man in der Stellungnahme ebenso wie die Berücksichtigung des Umstands, dass die Ziele der eigenen Partei deutlich über den Bereich der Migrationspolitik hinausgehen. Wer aus rein klientelbezogenen Erwägungen die Lunte an die Koalitionsvereinbarung legt, darf sich dann aber auch nicht wundern, wenn nach künftigen Wahlen auch die Genossen zur Gemeinschaft der schon aktuell wegen der Fünf-Prozent-Hürde Gestrauchelten hinzustoßen sollten.

Demokratie, zu Tode geritten…

Demokratie, zu Tode geritten…

Im Namen der dadurch vorgeblich besser zu verwirklichenden Demokratie haben sich Organisationen und Verfahrensabläufe in jüngerer Zeit drastisch verändert. Ein vergleichsweise „alter Hut“ sind insoweit insbesondere die Planungsverfahren, bei denen – mittlerweile auch nicht mehr nur beschränkt auf Großprojekte – gerade die immer mehr ausufernden Beteiligungserfordernisse dazu führen, dass wichtige (vor allem Infrastruktur-)Vorhaben nicht mehr im Lauf einer Generation verwirklicht werden können. Wenn heute zum Beispiel die Bahn einen Tunnel unter Frankfurt plant, werde ich nicht davon ausgehen können, da selbst einmal durchzufahren.

Aus neuerer Zeit stammen hingegen Erfindungen, die vor allem darauf angelegt sind, durch zusätzliche Beteiligungsschritte Verantwortung dahin zu verschieben, wo sie nicht hingehört, um die eigentlichen Verantwortungsträger von jeglicher Verantwortung zu befreien. Warum eigentlich soll es, um im Bundestag eine Koalition mit einer anderen Partei zur Bildung einer handlungsfähigen Regierung einzugehen, einer Billigung durch alle Mitglieder einer beteiligten Partei im Rahmen einer gesonderten Mitgliederbefragung bedürfen? Wozu wählen diese denn in langwierigen, regional auch noch gestuften Verfahren und in durchaus demokratischem Prozedere Verantwortungsträger in Gestalt von Vorständen, die auf diese Weise genuin demokratisch legitimiert sind, Entscheidungen zu treffen, mit denen diese Partei nach außen tritt? Unabhängig davon stößt dies auch aus grundlegenden normativen Überlegungen auf: Warum sollen die von niemandem demokratisch, sondern lediglich durch Zahlung eines Mitgliedsbeitrags dazu legitimierten Parteimitglieder entscheidenden Einfluss darauf nehmen können, wie die von der Wählerschaft im Rahmen der Bundestagswahl legitimierten Abgeordneten ihr Mandat wahrnehmen? Mehr Anmaßung geht nicht, und das nur, weil augenscheinlich die eigentlich Verantwortlichen die wirkliche Übernahme von Verantwortung scheuen. Kuschen wird offensichtlich als bequemer angesehen als die Last einer Entscheidung mit allen Konsequenzen zu tragen. Nicht nur der demokratische innerparteiliche Akt, der dieser Verantwortung Rechnung trägt – die Wahl und die mögliche Abwahl oder Nicht-Wieder-Wahl von Vorständen – wird so entwertet; solche überflüssigen Geplänkel tragen vielmehr auch zur Lähmung unserer Verfassungsorgane, vor allem des Bundestags, bei – zum Schaden aller.

Zeitenwende??

Zeitenwende??

Es ist an der Zeit, sich vom Begriff „Zeitenwende“ zu verabschieden. Aber, könnte der Einwand lauten, wir haben ihn doch erst vor kurzer Zeit überhaupt erfunden?! Mag sein, doch wenn wir die Phänomene der neueren Geschichte – sagen wir seit 2022 – als Zeitenwende charakterisieren, verschleiern wir mehr als wir erklären. Denn was suggeriert dieser Begriff denn anderes, als dass sich eben die Zeiten geändert hätten – und damit nimmt das Unheil seinen Lauf, denn dann kommt alles Übel von außen und wir sehen uns ihm ausgeliefert.

Doch das Unheil kommt eher von uns selbst, von innen, und hier bedarf es einer „Wende“, gleichsam einer Einsichtswende. Was da scheinbar von außen und scheinbar ganz plötzlich, ja vorgeblich kaum „erwartbar“ auf uns einprasselt und uns zu Reaktionen nötigt, zu denen wir uns jahrzehntelang nicht fähig wähnten, ist mitnichten spontan über die Welt kommendes Unheil. Sowohl die Entwicklungen in Russland als auch diejenigen, die sich jetzt in den USA überstürzt Bahn brechen, waren für jeden, der es wahrhaben wollte, absehbar – Putin hat sich niemals versteckt, und Trumps Agenda übersetzt nur die Theorie des neunhundertseitigen „Project 2025“ in die amerikanische Wirklichkeit, für deren radikalen Umbau es erdacht und niedergeschrieben wurde. Da steht minutiös drin, was heute tagtäglich jenseits des Atlantiks passiert; aber das kennt hierzulande ja kaum einer, weil man, genau wie bei den Umtrieben des Herrschers im Osten, den Kopf in den Sand steckte und dem Wahn verfiel, es werde schon alles nicht so schlimm werden und was geht uns das überhaupt an? Bloß nicht hinschauen und sich Gedanken über unangenehme Dinge machen; bloß kein Sand im Getriebe der Bequemlichkeit, das könnte womöglich die jährlich mehrfachen Urlaubszeiten trüben oder den Spaß am Bundesligafußball verderben. Und einen Grund dafür, jedes neue Jahr mit reichlich Böllerei zu begrüßen (haben wir ja schon immer so gemacht, das lassen wir uns doch nicht nehmen!), hätten wir dann ja womöglich auch nicht mehr. Nein, Wegschauen war schon immer dann die Devise, wenn das Hinschauen uns aus unserer Beschaulichkeit hätte reißen und uns zu Taten drängen können, deren Umsetzung unter anderem auch den Verzicht auf Liebgewordenes erfordert hätte. Dann doch lieber weiter mit der Illusion… Die dringend notwendige „Wende“ besteht also darin, endlich erwachsen zu werden, hinzuschauen – und die Realität ernstzunehmen!