Nicht ganz so verwunderlich wie die breite Verankerung der närrischen Umtriebe in der modernen Welt (siehe Kaleidoskop vom 24.2.) erscheint die nahezu in Stein gemeißelte hohe Bedeutung, die der Kunstform „Oper“ für das kulturelle Leben in unseren Tagen immer noch zukommt. Dem fast überall – mit Ausnahmen – praktizierten permanenten Aufkochen eines Eintopfs immer derselben Werke mit ihren zumeist antiquierten, längst überholten und angesichts der heutigen Verhältnisse zuweilen lächerlichen Themen sowie einer teils jahrhundertealten Musik liegt aber wohl die Sehnsucht nach einer – gewiss idealisierten – „schönen Kunst“ und dem sinnlichen Erlebnis zugrunde, das die im Idealfall gelungene Harmonie von Musik, Gesang und Darstellung in grandioser Weise bieten kann.
Kann, aber nicht muss. Zum grandiosen Gesamtkunstwerk gehört eben mehr als die Versammlung herausragender Stimmen und guter Musiker. Zeichnete sich die Frankfurter Oper in den – leider lange zurückliegenden – Jahren unter Gielen und Zehelein insoweit gerade wegen provokant-tiefgründiger Inszenierungen als Schrittmacher einer den modernen gesellschaftlichen Verhältnissen adäquaten Aufführungspraxis aus, konnte sie in den Folgejahren – und bis heute – daran immer wieder nur sporadisch und auf einzelne Aufführungen beschränkt anknüpfen. Es gibt sie, diese Höhepunkte; aber sie verstecken sich in einem zugegeben extrem mannigfaltigen Gesamtprogramm, in dem sich keine „Handschrift“ wiederfindet außer derjenigen, musikalische Darbietungen auf äußerst hohem Niveau zu bieten. Das ist beachtlich, und doch enttäuscht gerade im Hinblick darauf die teilweise groteske Nachlässigkeit, mit der die Personen beauftragt werden, die das Ganze in Szene setzen sollen. Ergebnis dessen sind einerseits Perlen wie etwa Verdis „Stiffelio“, vor ein paar Jahren meisterhaft inszeniert von einem hierzulande unbekannten Australier, oder Brittens „Billy Budd“, andererseits aber auch grandiose Fehlleistungen wie die „Trojaner“ oder zuletzt „I Puritani“, bei denen hilflose Regisseure mit dem Sujet der Werke und den in Frankfurt gegebenen technischen und intellektuellen Möglichkeiten rein gar nichts anzufangen wussten. Wenn nunmehr für die „Macht des Schicksals“ der Rassismus als – in der Inszenierung dann auch noch am Beispiel der USA bebildertes – Kernthema in den Vordergrund gerückt wird, bleibt dies letztlich genauso banal wie seinerzeit die Betonung der Bedeutung der weiblichen Hauptfiguren als Ergebnis der gedanklichen Durchdringung des Werks durch die Regisseurin der „Trojaner“: Das sind Aspekte, die in den Werken angelegt sind; aber sie allein tragen die inhaltliche Botschaft nicht. Die innere Zerrissenheit der Handelnden, ihre Gefühlskonflikte, verursacht durch den angenommenen Zwang, gesellschaftlichen Konventionen genügen zu müssen – das sind viel umfassendere und zugleich mehr in die Innenwelt zielende Konflikte, die durch die Fokussierung auf ein eher im Außen bleibendes „Hauptthema“ verengt und durch eine plakative Bebilderung eben nur illustriert, aber nicht künstlerisch durchdrungen werden. Kommt hinzu, dass die Abarbeitung der Rassismus-Thematik am Beispiel der USA mittlerweile ein alter Hut ist. Da gäbe es andere aktuelle und viel provokantere Beispiele. Die Faszination eines Gesamtkunstwerks kann so – jedenfalls für mich – nur in wenigen Szenen aufkommen, und im zweiten Teil nimmt sich unwillkürlich der Gähnreflex seinen Raum.