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Schlagwort: Cady Noland

22.11.2019

22.11.2019

Wer sich Händels Oper „Tamerlano“ im Bockenheimer Depot ansieht, könnte auf die Idee kommen, das, was die Szene dort bietet, irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Die Fährte kann besser erkundet werden, wenn man noch bedenkt, dass es sich bei dem Regisseur um einen Menschen aus den USA handelt. Und richtig – auch Cady Noland, deren Werke vor Jahresfrist im Museum für moderne Kunst zu bestaunen waren (Kaleidoskop vom 2.1.2019), stammt ja von dort. Genau dahin, in die Ausstellungsräume des MMK, fühlte ich mich versetzt: Schön in Drahtkörben aufbewahrte Budweiser-Bierdosen, selbst das Orchester im Drahtkäfig, ein weitgehend leerer Raum; der Hauptdarsteller hantiert mit Steigbügeln und Sporen, eine weitere Darstellerin mit einem als Dolch gedachten Stahlbolzen; alles Utensilien, die an Cady Noland mehr als erinnerten. Und selbst die Wardens, die dazumal das Museum in Scharen bevölkerten und die Besucher im Auge hatten, fanden sich im Depot wieder, nur dass ihre Kittel in leuchtendem Blau gehalten waren und (überflüssigerweise) die Mitgliedschaft zur „CREW“ auswiesen. Das hatten die Leute im MMK nicht nötig.

Der Eindruck war in phänomenaler Weise vergleichbar: Eine Atmosphäre von (zunächst) unausgesprochener Gewalt und Angst, die verbildlicht oder vergegenständlicht wird. Das Leiden wird angedeutet durch die räumliche Gestaltung, ergänzt durch die Kostümierung, was ja auch schiefgehen kann. Hier allerdings nicht. Und froh war ich, dass die sonst mittlerweile unausweichlichen Video-Projektionen hier fehlten. Zum Glück. Sie hätten womöglich die flaue Stimmung kaputtgemacht.

2.1.2019

2.1.2019

Essentieller Teil der Ausstellung der Werke von Cady Noland im Museum für moderne Kunst sind die Museumsangestellten. In jedem Raum sitzt ein oder eine „warden“, wie das auf amerikanisch heißt, und passt auf, dass die Besucher nicht womöglich ein Utensil aus einer Assemblage entwenden oder auch nur auf einer Gerüststange mal Ordnung machen. In ihren halblangen blauen Kitteln – amerikanischer als alle Utensilien, aus denen Cady Noland ihre Skulpturen assembliert hat – erinnern sie an Ticketverkäufer, Ladeninhaber, Börsenhändler oder eben Museumswärter, wie sie zwischen Boston und San Diego allerorten anzutreffen sind und wie man sie von Filmen oder Pressebildern kennt.

In der Tat, sie erst sorgen für authentische Atmosphäre: Sie machen auf sich aufmerksam, beobachten, postieren sich immer neu, gehen im Raum auf und ab, achten vor allem aber darauf, dass jeder Besucher sie wahrnimmt. Zu dem Eindruck latenter Gewalttätigkeit, die die Werke von Cady Noland ausstrahlen, kommt so eine weitere Dimension hinzu: Der Ausstellungsbesucher fühlt sich permanent beobachtet, auf Schritt und Tritt überwacht, ohne dass es ein Entrinnen gibt. Ob bewusst so gestaltet oder reiner Zufall –  die Ausstellung erscheint als Beklemmung erzeugendes Gesamtkunstwerk, als Erlebnis im wahren Wortsinn; so fühlt sich offenbar nicht nur die Künstlerin in den USA. Als ich das Museum verlasse, ist mir flau im Magen.