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Schlagwort: Oper

5.7.2019

5.7.2019

Heute wurden bei der Morgenlektüre der FAZ fast meine Augen feucht. Der Chefdramaturg der Frankfurter Oper wird demnächst in den Ruhestand verabschiedet werden; aus diesem Anlass gab es ein Interview zu lesen. Das ist an sich ja nichts Trauriges. Doch in diesem Fall verbinden sich damit auch emotionale Erinnerungen an große Opernabende in den vergangenen Jahrzehnten, und die meldeten sich in starker Intensität.

Der Herr begann seine Frankfurter Tätigkeit, kurz nachdem auch ich meine Begeisterung für das Musiktheater entdeckt hatte. Kein Wunder – Gielen und Zehelein prägten damals das Haus und revolutionierten die Aufführungspraxis, und ohne diese Revolution hätte man mich schwerlich begeistern können. Herr Abels lässt diese Zeit wiedererstehen, wenn er etwa von den Saison-Planungen seinerzeit berichtet, als es noch darum ging, die Oper mit ihrem Programm in der aktuellen Gesellschaft zu verorten, die Werke mit Bezug zur Gegenwart, jedenfalls aber aussagekräftig zu inszenieren und sogar einen inhaltlichen – selbstverständlich auch politisch inspirierten – Bogen über eine ganze Spielzeit zu spannen. Meine Augen glänzten, als ich das las, und Wehmut kam auf, denn so etwas kann man sich heute – um im Metier zu bleiben – getrost abschminken. So verdienstvoll die Herren Loebe und Weigle auch wirken – derartigen Tiefgang, derartige Konsequenz, ja Radikalität bieten sie nicht; da wird eklektisch zu Werke gegangen, ohne dass ein intellektueller Hintergrund oder gar eine „Konzeption“ sichtbar würde. Der Gesamtmischmasch mag auf (legitimen) wirtschaftlichen Erwägungen beruhen, Zufalls-Glückstreffer kommen dabei auch immer mal wieder heraus und die hohe musikalische Qualität ist unbestreitbar. Aber an die Klasse des Opernbetriebs der Jahre 1977-1987 kommt das alles nicht heran. Tempi passati…

27.4.2019

27.4.2019

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Opern doch eine irgendwie aus der Zeit gefallene Kunstform sind. Krude, oft nicht realistische, geschweige denn auf der Bühne einigermaßen sinnvoll darstellbare Handlungen; extreme Formen der zwischenmenschlichen Kommunikation (wer singt im normalen Leben seinen Frust raus, und dann auch noch im hohen C??), noch dazu in extremer vokaler Beanspruchung – um nicht zu sagen: Wahnsinnsarien mit der Tendenz zur Hysterie und zum Pathos… wäre da nicht die Orchestermusik, die das Ganze zumeist dann doch auf eine Weise zusammenbringt und umhegt, die versöhnlich stimmt – es gäbe wenig vernünftige Gründe, sich ausgerechnet dem Musiktheater auszusetzen.

Einer dieser Gründe war seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Aufkommen des Regietheaters, das im gelungenen Fall werkgetreu neue Darstellungs- und damit auch neue Sichtweisen ermöglichte, ohne wie die Aufführungspraxis zuvor der Langeweile oder dem Kitsch anheimzufallen. Dieses Konzept ist mittlerweile in die Jahre gekommen und man versucht den heutigen Sehweisen im Wege der Puzzle-Technik gerecht zu werden; Eklektizismus – weniger Abstraktion, manchmal etwas viel Ramschware auf der Bühne, nicht zu unrealistisch, und es darf auch mal reißerisch oder komisch werden; nur nicht allzuviel von demselben. Doch zu radikal – wie manche Regiearbeit früherer Jahre, sei es nun die „Aida“ von Neuenfels in Frankfurt, „Die Gezeichneten“ von Kusej in Stuttgart oder dann wieder „Macbeth“ von Boeito in Frankfurt – darf es heute nicht mehr sein. Weil sonst das tendenziell „anständige“ Publikum vergrätzt würde? Ein immer wieder gern genutztes Element der Verharmlosung, selbst in ausgezeichneten, geradezu sphärisch wirkenden Inszenierungen wie aktuell derjenigen von Schrekers „Der ferne Klang“ im hiesigen Opernhaus, ist die geradezu rührend peinliche, jedenfalls harmlose und verniedlichende Bebilderung menschlichen Elends in – pardon – Bordellbetrieben: Da kommen die „Dirnen“ (so das Libretto) wie weiland Violetta Valéry im Glitzergewand daher und präsentieren sich die männlichen Käufer der Liebe (tatsächlich?) als anständig und adelsgerecht gekleidete Playboys. Dem Libretto mag das entsprechen, lokalisiert es das Geschehen insoweit doch auf einer Insel der Wollust im venezianischen Raum; aber zu einer Inszenierung, die ansonsten die Handlung in eine Zeit nahe an der Gegenwart transponiert und szenenweise in ein Alten- und Pflegeheim verfrachtet – und dabei Dichte und betörende Atmosphäre schafft -, will das doch nicht so recht passen. Hier wünschte ich mir etwas mehr Geradlinigkeit, Mut zur Drastik, Konsequenz, Radikalität. Es ist noch gar nicht so lange her, dass all dies die Inszenierungen in Frankfurt auszeichnete.

9.3.2019

9.3.2019

Wer einmal zu fühlen bekommen hat, was es bedeutet, wenn das Schauspielhaus ausverkauft ist, reiht sich unweigerlich und zwangsläufig ein in die Phalanx der Befürworter eines Neubaus für die Städtischen Bühnen. Egal ob einer für beide Bühnen, also auch die Oper, oder – was sinnvoller scheint – jeweils getrennt – so wie jetzt kann es auf keinen Fall bleiben: Eine wirklich große Lösung muss her. Und da ist die rein technisch oder vielleicht für den Brandschutz gebotene Sanierungsbedürfigkeit noch nicht einmal das Ausschlaggebende!

Schon vor Beginn der Aufführung (und erst recht in der Pause) bildet sich eine lange Schlange vor der Damen-Toilette, weil es nur diese eine gibt; anders als in der Oper, aber auch da stehen sie. Im Foyer bekommt der Besucher Atemnot, obwohl ja nebenan noch die Panorama-Bar geöffnet hat, die aber auch bis auf den letzten Stuhl besetzt ist. Es ist einfach kein Raum für die vielen Menschen, die sich zur Schauspielkunst hingezogen fühlen – auf engstem Raum steht man Schulter an Schulter und muss schwer aufpassen, dem Nebenmann beim Vorbeigehen nicht das Weinglas zu zerdeppern. Und vor das Nachhausegehen haben die Verantwortlichen erst einmal das Warten auf die Herausgabe der abgegebenen Garderobe inszeniert, als wollten auch sie uns Godot verheißen. Immerhin jeweils zwei Garderobenkräfte rechts und links, bei zuweilen mehr als 1000 Zuschauern – da kann doch keiner sich beklagen… Diese räumliche und organisatorische Enge ist schlicht unwürdig. Es wird Zeit, dass Frau Hartwig handelt.

27.2.2019

27.2.2019

Nicht ganz so verwunderlich wie die breite Verankerung der närrischen Umtriebe in der modernen Welt (siehe Kaleidoskop vom 24.2.) erscheint die nahezu in Stein gemeißelte hohe Bedeutung, die der Kunstform „Oper“ für das kulturelle Leben in unseren Tagen immer noch zukommt. Dem fast überall – mit Ausnahmen – praktizierten permanenten Aufkochen eines Eintopfs immer derselben Werke mit ihren zumeist antiquierten, längst überholten und angesichts der heutigen Verhältnisse zuweilen lächerlichen Themen sowie einer teils jahrhundertealten Musik liegt aber wohl die Sehnsucht nach einer – gewiss idealisierten – „schönen Kunst“ und dem sinnlichen Erlebnis zugrunde, das die im Idealfall gelungene Harmonie von Musik, Gesang und Darstellung in grandioser Weise bieten kann.

Kann, aber nicht muss. Zum grandiosen Gesamtkunstwerk gehört eben mehr als die Versammlung herausragender Stimmen und guter Musiker. Zeichnete sich die Frankfurter Oper in den – leider lange zurückliegenden – Jahren unter Gielen und Zehelein insoweit gerade wegen provokant-tiefgründiger Inszenierungen als Schrittmacher einer den modernen gesellschaftlichen Verhältnissen adäquaten Aufführungspraxis aus, konnte sie in den Folgejahren – und bis heute – daran immer wieder nur sporadisch und auf einzelne Aufführungen beschränkt anknüpfen. Es gibt sie, diese Höhepunkte; aber sie verstecken sich in einem zugegeben extrem mannigfaltigen Gesamtprogramm, in dem sich keine „Handschrift“ wiederfindet außer derjenigen, musikalische Darbietungen auf äußerst hohem Niveau zu bieten. Das ist beachtlich, und doch enttäuscht gerade im Hinblick darauf die teilweise groteske Nachlässigkeit, mit der die Personen beauftragt werden, die das Ganze in Szene setzen sollen. Ergebnis dessen sind einerseits Perlen wie etwa Verdis „Stiffelio“, vor ein paar Jahren meisterhaft inszeniert von einem hierzulande unbekannten Australier, oder Brittens „Billy Budd“, andererseits aber auch grandiose Fehlleistungen wie die „Trojaner“ oder zuletzt „I Puritani“, bei denen hilflose Regisseure mit dem Sujet der Werke und den in Frankfurt gegebenen technischen und intellektuellen Möglichkeiten rein gar nichts anzufangen wussten. Wenn nunmehr für die „Macht des Schicksals“ der Rassismus als – in der Inszenierung dann auch noch am Beispiel der USA bebildertes – Kernthema in den Vordergrund gerückt wird, bleibt dies letztlich genauso banal wie seinerzeit die Betonung der Bedeutung der weiblichen Hauptfiguren als Ergebnis der gedanklichen Durchdringung des Werks durch die Regisseurin der „Trojaner“: Das sind Aspekte, die in den Werken angelegt sind; aber sie allein tragen die inhaltliche Botschaft nicht. Die innere Zerrissenheit der Handelnden, ihre Gefühlskonflikte, verursacht durch den angenommenen Zwang, gesellschaftlichen Konventionen genügen zu müssen – das sind viel umfassendere und zugleich mehr in die Innenwelt zielende Konflikte, die durch die Fokussierung auf ein eher im Außen bleibendes „Hauptthema“ verengt und durch eine plakative Bebilderung eben nur illustriert, aber nicht künstlerisch durchdrungen werden. Kommt hinzu, dass die Abarbeitung der Rassismus-Thematik am Beispiel der USA mittlerweile ein alter Hut ist. Da gäbe es andere aktuelle und viel provokantere Beispiele. Die Faszination eines Gesamtkunstwerks kann so – jedenfalls für mich – nur in wenigen Szenen aufkommen, und im zweiten Teil nimmt sich unwillkürlich der Gähnreflex seinen Raum.

15.2.2019

15.2.2019

Heute war offenkundig der Tag der offenen Biere. Zunächst stieß ich beim Nachmittags-Spaziergang am Niddaufer – was soll man bei diesem Wetter auch anderes machen? – auf zwei Herren in Jeans und Kapuzenpulli (jene Montur, die unser Ex-Bundeskanzler, der wenigstens noch ein richtiger Kanzler war, etwaigen tollkühnen SPD-Kandidaten für ebendieses Amt zu meiden anrät, um nicht von vornherein chancenlos zu sein), die auf einer Bank ein schönes Fäßchen platziert und dessen Inhalt in ihre passenden Gläser umgefüllt hatten, mit denen sie sich, wie Männer dies eben so tun, in aller Seelenruhe zuprosteten. Das Outfit ließ nicht zwangsläufig den Schluss darauf zu, dass sie kurz zuvor einem Flieger aus Charkiw entstiegen waren; das hätte aber durchaus sein können, und ein Unentschieden der Eintracht in ukrainischer Kälte wäre ja durchaus ein Grund, ein Fass aufzumachen, bei den lauen Temperaturen hier…

Abends, auf meinem Weg in die Oper, bestieg an der Haltestelle Weißer Stein ein einzelner Mann die Bahn, der gleich zwei Fläschchen in der Hand hielt. Wie sich herausstellte, war er verabredet, denn zwei Stationen weiter erhielt er Gesellschaft von einem weiteren. Die erste Handlung nach der Begrüßung: Der Flaschenmitbringer entkorkte eine Flasche, reichte sie mit wohlmeinendem Augenaufschlag und ohne Worte – weil Männer ja nicht viel reden müssen – seinem Begleiter, öffnete die zweite Flasche und beide nahmen erst einmal einen kräftigen Schluck, und es war selbstverständlich nicht der letzte. Man unterhielt sich über Job und was sonst noch, die Kehlen immer gut befeuchtet, und auch hier wieder der coole Männerblick, wie man ihn auch aus der Werbung kennt. Nur nicht zuviele Emotionen… Ich frage mich unwillkürlich, ob ich so etwas überhaupt schon einmal in einer U-Bahn gesehen habe – ich trinke Bier höchstens in der Kneipe oder zuhause.