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Schlagwort: Regietheater

27.4.2019

27.4.2019

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Opern doch eine irgendwie aus der Zeit gefallene Kunstform sind. Krude, oft nicht realistische, geschweige denn auf der Bühne einigermaßen sinnvoll darstellbare Handlungen; extreme Formen der zwischenmenschlichen Kommunikation (wer singt im normalen Leben seinen Frust raus, und dann auch noch im hohen C??), noch dazu in extremer vokaler Beanspruchung – um nicht zu sagen: Wahnsinnsarien mit der Tendenz zur Hysterie und zum Pathos… wäre da nicht die Orchestermusik, die das Ganze zumeist dann doch auf eine Weise zusammenbringt und umhegt, die versöhnlich stimmt – es gäbe wenig vernünftige Gründe, sich ausgerechnet dem Musiktheater auszusetzen.

Einer dieser Gründe war seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Aufkommen des Regietheaters, das im gelungenen Fall werkgetreu neue Darstellungs- und damit auch neue Sichtweisen ermöglichte, ohne wie die Aufführungspraxis zuvor der Langeweile oder dem Kitsch anheimzufallen. Dieses Konzept ist mittlerweile in die Jahre gekommen und man versucht den heutigen Sehweisen im Wege der Puzzle-Technik gerecht zu werden; Eklektizismus – weniger Abstraktion, manchmal etwas viel Ramschware auf der Bühne, nicht zu unrealistisch, und es darf auch mal reißerisch oder komisch werden; nur nicht allzuviel von demselben. Doch zu radikal – wie manche Regiearbeit früherer Jahre, sei es nun die „Aida“ von Neuenfels in Frankfurt, „Die Gezeichneten“ von Kusej in Stuttgart oder dann wieder „Macbeth“ von Boeito in Frankfurt – darf es heute nicht mehr sein. Weil sonst das tendenziell „anständige“ Publikum vergrätzt würde? Ein immer wieder gern genutztes Element der Verharmlosung, selbst in ausgezeichneten, geradezu sphärisch wirkenden Inszenierungen wie aktuell derjenigen von Schrekers „Der ferne Klang“ im hiesigen Opernhaus, ist die geradezu rührend peinliche, jedenfalls harmlose und verniedlichende Bebilderung menschlichen Elends in – pardon – Bordellbetrieben: Da kommen die „Dirnen“ (so das Libretto) wie weiland Violetta Valéry im Glitzergewand daher und präsentieren sich die männlichen Käufer der Liebe (tatsächlich?) als anständig und adelsgerecht gekleidete Playboys. Dem Libretto mag das entsprechen, lokalisiert es das Geschehen insoweit doch auf einer Insel der Wollust im venezianischen Raum; aber zu einer Inszenierung, die ansonsten die Handlung in eine Zeit nahe an der Gegenwart transponiert und szenenweise in ein Alten- und Pflegeheim verfrachtet – und dabei Dichte und betörende Atmosphäre schafft -, will das doch nicht so recht passen. Hier wünschte ich mir etwas mehr Geradlinigkeit, Mut zur Drastik, Konsequenz, Radikalität. Es ist noch gar nicht so lange her, dass all dies die Inszenierungen in Frankfurt auszeichnete.