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Schlagwort: Toleranz

11.10.2020

11.10.2020

Wer das 60. Lebensjahr überschritten hat, nimmt – wenn alles sich positiv entwickelt hat – nicht mehr alles schweigend hin. Man muss ja auch nicht alles herunterschlucken, nur damit kein Ärger aufkommt. Als ich heute knapp einem Unfall entrann, war es einmal wieder soweit. 2 cm fehlten, und der Kleine wäre mir mit seinem Rad von hinten in die Beine gekracht. Ich ging am Niddauferweg schon ganz rechts, aber irgendwie schaffte es der Kleine – höchstens 2 Jahre alt – gerade noch, mich rechts zu überholen und dennoch mich nicht zu rammen. Sein nicht viel älterer Bruder schnitt mir dafür links den Weg. Immerhin, der hinterdrein radelnde Papa entschuldigte sich noch; danke. Doch ich wagte es, den Mund aufzumachen und Papa durchaus emotionslos darauf anzusprechen, dass dies nur die logische Konsequenz sei, wenn man ein Kind in diesem zarten Alter aufs Rad setzt. Es fehlte nicht viel und der Mann wäre vom Rad gestiegen und hätte mir eine geknallt.

Ja, Toleranz wird immer knapper. Auch auf kritische Posts bei Facebook muss man immer wütend-ablehnende Kommentare gewärtigen, wenn nicht noch Schlimmeres. Leider ist es zur Regel geworden: Pointierte, aber immerhin sachliche Posts werden mit aggressiven Gegen-Posts bedacht, ohne dass diesen sich entnehmen ließe, dass der Verfasser oder die Verfasserin meinen Kommentar auch nur ansatzweise verstanden hätte. Aber darum geht es ja auch nicht. Man haut um sich, um irgendwie zu verdeutlichen, dass man existiert. Posts dienen nur der Versicherung scheinbarer Übereinstimmung mit (scheinbar) Gleichgesinnten und zur klaren Abgrenzung von allem, was mit eigenem Denken und Fühlen nicht konform geht. Das schafft Identität. Früher, am Info-Stand der Jusos, wurde mir oft entgegengeblafft, ich möge doch „nach drüben“ gehen, wenn mir was nicht passe. Vierzig Jahre später ist es nicht besser geworden – es hat sich nur ins digitale Netz verlagert…