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Schlagwort: Verantwortung

Demokratie, zu Tode geritten…

Demokratie, zu Tode geritten…

Im Namen der dadurch vorgeblich besser zu verwirklichenden Demokratie haben sich Organisationen und Verfahrensabläufe in jüngerer Zeit drastisch verändert. Ein vergleichsweise „alter Hut“ sind insoweit insbesondere die Planungsverfahren, bei denen – mittlerweile auch nicht mehr nur beschränkt auf Großprojekte – gerade die immer mehr ausufernden Beteiligungserfordernisse dazu führen, dass wichtige (vor allem Infrastruktur-)Vorhaben nicht mehr im Lauf einer Generation verwirklicht werden können. Wenn heute zum Beispiel die Bahn einen Tunnel unter Frankfurt plant, werde ich nicht davon ausgehen können, da selbst einmal durchzufahren.

Aus neuerer Zeit stammen hingegen Erfindungen, die vor allem darauf angelegt sind, durch zusätzliche Beteiligungsschritte Verantwortung dahin zu verschieben, wo sie nicht hingehört, um die eigentlichen Verantwortungsträger von jeglicher Verantwortung zu befreien. Warum eigentlich soll es, um im Bundestag eine Koalition mit einer anderen Partei zur Bildung einer handlungsfähigen Regierung einzugehen, einer Billigung durch alle Mitglieder einer beteiligten Partei im Rahmen einer gesonderten Mitgliederbefragung bedürfen? Wozu wählen diese denn in langwierigen, regional auch noch gestuften Verfahren und in durchaus demokratischem Prozedere Verantwortungsträger in Gestalt von Vorständen, die auf diese Weise genuin demokratisch legitimiert sind, Entscheidungen zu treffen, mit denen diese Partei nach außen tritt? Unabhängig davon stößt dies auch aus grundlegenden normativen Überlegungen auf: Warum sollen die von niemandem demokratisch, sondern lediglich durch Zahlung eines Mitgliedsbeitrags dazu legitimierten Parteimitglieder entscheidenden Einfluss darauf nehmen können, wie die von der Wählerschaft im Rahmen der Bundestagswahl legitimierten Abgeordneten ihr Mandat wahrnehmen? Mehr Anmaßung geht nicht, und das nur, weil augenscheinlich die eigentlich Verantwortlichen die wirkliche Übernahme von Verantwortung scheuen. Kuschen wird offensichtlich als bequemer angesehen als die Last einer Entscheidung mit allen Konsequenzen zu tragen. Nicht nur der demokratische innerparteiliche Akt, der dieser Verantwortung Rechnung trägt – die Wahl und die mögliche Abwahl oder Nicht-Wieder-Wahl von Vorständen – wird so entwertet; solche überflüssigen Geplänkel tragen vielmehr auch zur Lähmung unserer Verfassungsorgane, vor allem des Bundestags, bei – zum Schaden aller.

7.5.2019

7.5.2019

Stichwort Rücksichtnahme und Verantwortung – insofern waren die Wahrnehmungen in Bockenheim (siehe das Kaleidoskop vom 3.5.2019) durchaus repräsentativ, auch wenn bei diesem Ereignis viele kleine Teilvorgänge das Ganze ergaben. Mit beidem ist es in Deutschland nicht so weit her, wie täglich erlebt werden kann. Mir fallen unzählige Beispiele ein, in denen Menschen nur an sich dachten oder stur und inflexibel nur darauf beharrten, „im Recht“ zu sein, oder in denen sie sich ohne weiteres Nachdenken einfach mal vor- und die anderen eben zurückdrängten.

Im Straßenverkehr kann man das allerdings besonders häufig und besonders drastisch erleben. Ob es nun die sturen Linksfahrer auf der Autobahn sind, die im Schneckentempo die Spur blockieren, die LKW-Fahrer, die meinen, einen anderen LKW überholen zu müssen, weil sie sich um 0,1 km/h schneller wähnen, oder schlafmützige Autofahrer, die im Kreisverkehr nicht in die Gänge kommen – immer ist die Situation gepaart mit Wurschtigkeit oder Achtlosigkeit gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern. Und in solchen Situationen erinnere ich mich gern etwa an mein erstes Erlebnis als Autofahrer im fernen Florenz, wo wir seinerzeit nach langer Autobahnfahrt mitten im Berufsverkehr ankamen und ich irgendwie den Weg durch den brodelnden Verkehr zu unserer vorgebuchten Unterkunft finden musste. Damals gab es dort – im Unterschied zu Deutschland – durchaus schon Kreisverkehre, und von Fahrspuren war nichts zu sehen – um den Kreisel führte eine einzige breite Spur, voll mit Autos, die aus allen Richtungen kamen, mehrspurig, aber ohne die gewohnte deutsche Ordentlichkeit; doch meine anfängliche Verzweiflung wich sehr schnell einem angenehmen, entspannten Aufatmen, als ich erlebte, wie sich diese Automasse, die Fahrzeuge dicht an dicht, mäandernd um den Kreisel herumbewegte und jedem das Fortkommen ermöglichte, ohne auch nur einen einzigen auszugrenzen, am Hineinkommen oder Herausfahren zu hindern oder gar auf irgendeiner „Rechtsposition“ zu beharren. Es wäre nachgerade auch lächerlich gewesen. Und das bei den als heißblütig angesehenen Italienern! Die gegenseitige Rücksichtnahme ermöglichte einen steten Verkehrsfluß und niemand musste befürchten, dass das Auto verschrammt werden könnte. Weil jeder wusste: Wir wollen alle irgendwohin, und nur gemeinsam kommen wir weiter.