Beim morgendlichen Kaffee auf dem Außengelände des Brühmarkts in der Adalbertstraße sitzt heute ein junger Mann am Nebentisch; geschlossene Augen, kerzengerade Sitzhaltung, den Rücken fest an die Lehne und den Kopf an die große Schaufensterscheibe gelehnt, vollkommen in sich versunken. Seine Hände, auf dem Schoß vor dem Körper ineinander verschränkt, formen ein Mudra. Ganz klar: Er meditiert.
Mir ist das Meditieren nun auch sehr vertraut, und ich bewundere die absolut klare Präsenz, die die Körperhaltung dieses Mannes so eindeutig zum Ausdruck bringt. Auf die Idee, ausgerechnet an dieser Ecke im brüllenden Verkehrslärm und dem Gewusel der Passanten Meditation zu praktizieren, wäre ich aber selbst in 50 Jahren nicht gekommen. Zwar unterscheidet sich mein „Sitzen“ an dieser Stelle durchaus deutlich von dem der anderen Gäste – mir kommt es schon manchmal so vor, als trüge mein sinnentleertes Schauen, das Beobachten dessen, was um mich herum vor sich geht, das stille Verharren vor dem doppelten Espresso, verbunden mit dem sensorischen Genuss, den das dunkle Gebräu einschließlich der wunderbaren Crema vermittelt, Züge von kontemplativer Versenkung. Aber die Augen habe ich bislang noch nicht geschlossen; wer weiß, was dann geschähe… und erst recht kann ich mir nicht vorstellen, dort barfuß zu sitzen wie mein Nachbar, der sich seiner Schuhe und Socken entledigt hatte und dessen bloße Füße auf dem Pflaster ruhten. Er schien vollständig entrückt… bis mit einem Mal, ganz plötzlich, ein breites Lächeln über sein Gesicht huschte, er im gleichen Moment die Augen öffnete (oder war das einen Moment zuvor?) und freudestrahlend einen anderen jungen Mann begrüßte, der sich, bepackt mit zwei prall gefüllten Satteltaschen, seinem Tisch näherte. Also sowas… entweder war er hellsichtig oder mit der Meditation war es doch nicht so weit her! Oder befand er sich etwa in einer Sphäre, in der das Unsagbare gesagt und das Unsichtbare gesehen werden kann?