11.2.2021
Die Menschen sind nicht mehr da. Ich meine damit: Sie leben nicht im gegenwärtigen Moment. Sie sind abwesend, beschäftigt, zerstreut. Meist den Blick starr am Bildschirm des Mobiltelefons, selbst wenn sie unterwegs sind, die Straße überqueren oder – am Steuer einer Straßenbahn sitzen.
Heute früh konnte ich das an der Endhaltestelle der Linie 16 in Ginnheim sozusagen hautnah erleben. Der Fahrer hatte noch kurze Zeit seine Pause; der Fahrtanzeiger am Bahnsteig kündete aber die Abfahrt der Bahn in einer Minute an. Wer diese Haltestelle und ihre Tücken kennt (die Bahn darf nur über eine Ampelregelung in die Straße einfahren, und bis die – auf Handsteuerung per Schlüssel, wie vorsintflutlich – reagiert, dauert es gefühlte Ewigkeiten), weiß, dass es nun an der Zeit wäre, auszusteigen und den Ampelregler zu betätigen, sonst verzögert sich die Abfahrt unendlich. Doch im Fahrerstand tut sich nichts. Ich sehe nur die Beine des Fahrers, lässig übereinander geschlagen, ansonsten gibt es nicht die geringste Bewegung. Die Uhr läuft weiter, Minuten verrinnen, ohne dass sich in der Kabine etwas tut. Schon mehrere Minuten nach der planmäßigen Afahrt kommt auf dem Nachbargleis die dritte U-Bahn an, da geht ein Ruck durch den Fahrer, er legt – klar – das Handy nieder und geht langsam zum Ampelregler und dreht dort den Schlüssel um. Passagiere eilen zur Straßenbahn, wollen mit ihr weiterfahren. Sie haben Glück, dass die Ampel immer noch nicht reagiert hat, sonst stünden sie – wie sonst oft – vor verschlossenen Türen an der abfahrbereiten Straßenbahn. Heute ausnahmsweise nicht; sie kommen noch mit. Aber soll deswegen dem Spielen am Mobiltelefon ein Loblied gesungen werden?